Lösungsorientierte Suchttherapie

In die Behandlung von Suchtmittelabhängigen Erwachsenen sind in den letzten 25 Jahren viele neue Ideen aufgenommen, die weitgehend unter dem Namen Kurzzeittherapie firmieren. Entscheidende Wegbereiter kurzzeittherapeutischer Konzepte und Ansätze sind Milton Erickson, Steve DeShazer und “Erickson-Schüler”, wie beispielsweise Gunther Schmidt in Deutschland.
Die kurzzeittherapeutischen Ansätze unterscheiden sich grundsätzlich durch wesentliche Paradigmenwechsel zur klassischen Psychotherapie. Der folgende Beitrag stellt einige der Grundideen der Kurzzeittherapie, zugeschnitten auf die Suchttherapie vor.

Der Suchtkranke

Erfolgreiche Behandlung ist  stark abhängig von dem Bild, dass man sich von seinem Klientel macht und dessen Schwierigkeiten und Fähigkeiten. Im Persönlichkeitsbild des suchtkranken Menschen lassen sich charakteristisch gehäuft, folgende Merkmale auf der beschreibenden Ebene finden:

  • Hohe Sensibilität

  • starke Selbstunsicherheit / Kränkbar

  • Misstrauen

  • Einschränkung der Affektkontrolle / mangelnder Affektausdruck

  • Übermäßige emotionale Abhängigkeit / Bindung zu den Bezugspersonen und Partnern

  • Große Sehnsucht nach Entgrenzung und Selbstaufgabe

  • Negativ erlebter oder kaum vorhandener Körperbezug

  • Unklarheit und Diffusion bezüglich des Lebenssinns / Ziele

  • Unstrukturiertheit des inneren Zeiterlebens, sowie der Zeitorganisation

Die gleichen Charakteristika lassen sich aber auch bei vielen Menschen wieder finden, die ihr ganzes Leben lang keine Suchtproblematik entwickeln.
Das einzig signifikante Zeichen des Suchtkranken ist die fehlende Kontrolle über ein Suchtmittel.
Wobei es sich bei dem Terminus Kontrollverlust um keine absolute Größe / Kategorie handelt, da auch bei den chronifiziertesten Abhängigen noch Phasen und Elemente von Kontrollvermögen vorhanden ist.


Ursachen von Suchterkrankungen

Einig mit der gängigen Lehrmeinung kann man die Sucht als ein multikausales Phänomen sehen, für das es bisher kein geschlossenes mehrdimensionales Verständniskonzept gibt. Fraglich erscheint überhaupt das Konzept der Kausalität bei dem Phänomen Sucht als Erklärungsprinzip. Gerade bei der Sucht liegt die “Paradoxie” vor, das die Wirkung / Folge, die Ursache für das Symptom ist. Im Gegensatz zu vielen anderen klinischen Symptomen sucht der Suchtkranke sein Symptom. In diesem Sinne stellt Sucht ein zirkuläres Phänomen da.

Psychoanalytisch lassen sich die charakteristischen Persönlichkeitsmerkmale des Suchtkranken als Folge einer gestörten Selbstbildung und deren Entwicklung verstehen.
H.Kohut / O.Kernberg haben die narzisstische Störungen und andere Formen der früheren Selbststörung, wie Borderline, als Grundstörung des Suchtkranken beschrieben, wobei die Sucht eine narzisstische Verhaltensstörung darstellt.
Ursache der defizitären Selbstbildung ist eine frühe Traumatisierung durch das Fehlen oder der emotionalen Abwesenheit / Unangemessenheit von elterlichen Bezugspersonen. Dieser Faktor lässt sich auch in den Biographien von Suchtkranken signifikant erhöht vorfinden.

Das Suchtmittel übernimmt danach für den Suchtkranken die Funktion, eigene Selbstdefizite und deren Folgen zu füllen. Psychoanalytisch handelt es sich bei der Sucht primär um eine Selbstproblematik im Gegensatz zu neurotischen Konflikten der Triebregulation.
Die intrapsychische Regulation von Selbstdefiziten durch den Alkohol erscheint bei genauer Beobachtung als maßgebliche Bedingung für das Entstehen einer Suchterkrankung als nicht zureichend. Die intrapsychische Regulation dient dem Suchterkrankten in der Regel primär zur Bindungsaufrechterhaltung und Beziehungsgestaltung mit seinen Bezugspersonen im sozialen Feld.

Dementsprechend präsentiert sich Sucht in der Beratung und Therapie eher als ein psycho-soziales Problem, genauer als ein kommunikativ – interaktives Problemfeld.
In der Regel sind an dem Problemfeld Sucht eins oder mehrere Bezugssysteme des Suchtkranken beteiligt, z. B. Ehepartner, Kinder, Eltern, Freunde oder Arbeitgeber.
Es findet also ein kollektives Leiden an der Sucht statt, wo die Bewältigungsstrategien eines ganzen Systems nicht mehr funktionieren. Zugleich haben die kommunikativen Strukturen des Systems wechselseitig zur Stabilisierung des Problemfelds Sucht geführt. Das frühzeitige Einbinden der Angehörigen und Partner des Suchtkranken in die Behandlung ist deshalb von hoher Bedeutung für das Gelingen therapeutischer Interventionen.

Aus systemischer Sicht kann man das süchtige Verhalten des Abhängigen als hochwirksames kommunikatives Beziehungsregulativ verstehen, dass hilft zwischenmenschliche Bedürfnisse nach Nähe und Distanz, Verantwortung, Achtung, Unterstützung, Liebe und Hilfe zu steuern.
Die Sucht erscheint als bestmögliche Verhaltensalternative für den abhängigen Menschen und seinen Bezugssystemen, um Bedürfnisse und Beziehungen zu regulieren.
Süchtiges Verhalten ist zugleich ein ungeeigneter und deswegen zum Scheitern verurteilter Lösungsversuch der Bedürfnis- und Beziehungsgestaltung im sozialen System, der sein Scheitern selbst zementiert.
Zugleich besteht die Erfahrung, dass jedem Suchtkranken zeitweise alternative Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um Beziehungen und Bedürfnisse regulieren zu können. Er hat potentiell die Ressourcen sowie auch die Lösungen in sich und schon wiederholt praktiziert.
Der Suchtkranke ist damit selbst Träger des eigenen therapeutischen Lösungswissens.
Aus pragmatischer Sicht erscheint es grundsätzlich sinnvoll wissenschaftliche Erklärungsmodelle der Suchterkrankung soweit zu nutzen, wie sie die therapeutische Handlungskompetenz erhöhen.

Therapeutische Grundhaltungen

Jedem Therapiekonzept sind spezifische Wertesysteme immanent aus denen sich ex- und implizit Menschenbilder und Ideale ableiten, die bewusst und unbewusst dem Suchttherapeuten als Orientierungs- und Handlungsrahmen dienen.
Die Selbstreflektion der eigenen Werte – Haltungen erscheint als ein zentrales Wirkelement jedes therapeutischen Handelns und methodischer Entwicklung. Supervision, Fallbesprechung, Konzeptions- und Organisationsentwicklung sowie vielseitige Fortbildungsmaßnahmen sollte hierfür unabdingbar zur Verfügung stehen. Ziel der Selbstreflektion sollte die eigene Wertetransparenz sein sowie deren kontinuierliche kritische Überprüfung.
Hierzu gehört auch eine Skepsis gegenüber psychopathologischen Konzepten. Aus der experimentellen Psychologie ist die stigmatisierende Wirkung von Etiketten  – dem Labeling –  bekannt. Es erscheint so, das eine psychopathologische Wirklichkeitsbeschreibung oft erst das Problem erschafft, dass es dann zu kurieren gilt. Zumindest stabilisieren negativ Etikettierungen oft erst ein Problemverhalten und verschlechtern die Behandlungsprognose.
Carl-Friedrich v. Weizsäcker hat es einmal so ausgedrückt: “Wenn die Erkenntnis uns an der Liebe hindert, so müssen wir die Erkenntnis aufgeben.” In diesem Fall kann das Opfer den Gewinn nicht ausgleichen. Theorien, die Sucht beispielsweise als Abkömmling eines Todestriebes verstehen oder irreparablen Charakterschaden, sind für die therapeutische Praxis schadend, so groß ihr Wahrheitsgehalt auch sein mag.

In der Praxis und Konzeptentwicklung ist es nützlicher sich an das bisher unwiderlegte Axiom von Albert Einstein zu halten, dass das Universum ein freundlicher Ort ist, der es grundsätzlich gut mit einem meint. Auch aufgrund unserer christlich – abendländischen Kulturwurzeln löst dieses Axiom starke Zweifel aus, die anzeigen, wie tief die Ideen des Bösen und des Kulturpessimismus in uns sind.
Zumindest in der suchttherapeutischen Arbeit, erscheint es deshalb angemessener und nützlicher lösungsorientierte Konzepte und Methoden einzusetzen. Zum einen bieten diese Konzepte, die Möglichkeit im hochkomplexen Problemfeld Sucht, Komplexität so zu reduzieren, das sinnvolle Handlungsperspektiven und Möglichkeiten wieder erschaffen werden.
Zurückgewinnung von Handlungsfähigkeit scheint mir das oberste Gebot der Suchtarbeit zu sein, weil diese bei der, der Sucht häufig inliegenden Dramatik von Leben und Tod, meistens zuerst Not tut.

Suchttherapie sollte deshalb grundsätzlich auch offen sein für Beratungs- und Arbeitskonzepte, die anderen Arbeitskontexten entspringen, wie dem Krisen- und Organisationsmanagement in der Politik und Wirtschaft.
Das oberste Prinzip lösungsorientierter Arbeitsansätze ist mehr vom “Guten.” Und gut ist, alles was Kraft gibt!
Das Gute ist natürlich hochgradig individuell, abhängig vom jeweiligen Suchtsystem. Das was in einem Suchtfeld hilft kann in einem anderen wirkungslos sein oder gar schaden. Suchttherapie ist immer notwendigerweise eine individuelle und einzelfallbezogene Maßnahme.
Albert Einsteins Grundparadigma für die Entwicklung von naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorien: “Man soll die Dinge so einfach machen wie möglich, aber nicht einfacher”, sollte auch für geisteswissenschaftliche Konzepte, also denen moderner Psychotherapie gälten.

Therapeutische Prinzipien

Erst die Adaption von nicht pathologischen orientierten Ideen in die Suchttherapie hat zu neuen und erfolgreichen professionellen psychotherapeutischen Behandlungsformen und Konzepten geführt. Eigentlich waren es die Selbsthilfegruppen, besonders die AA, die das psychotherapeutische Stigma der Unbehandel- und Heilbarkeit der Sucht aufgelöst haben und dies tausendfach bewiesen.

Die Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen ist aus diesem Grunde wichtig, um von der Betroffenenprofessionalität selbst lernen zu können.

Wesentliche Ideen der Selbsthilfe:

  • Menschen heilen sich selbst. Heilung ist nicht machbar.
    Eine Absage vom klassischen Medizinverständnis.

  • Menschen suchen Hilfe, nicht weil sie eine schlechte Vergangenheit haben, sondern weil sie sich ein besseres Jetzt und oder Zukunft wünschen. Prinzip Hoffnung!
    Eine Absage an das Modell Problem und Kausalität.

  • Auch wenn die Schicksalszwänge groß sind haben Menschen immer die Möglichkeit einer Wahl. Sie sind damit selbstverantwortlich für ihr Verhalten.
    Eine Absage an psychologische und soziologische deterministische Konzepte, wie dem Wiederholungszwang von Freud.

Der Einzug dieser und anderer Grundideen aus der Selbsthilfearbeit in die professionelle Suchttherapie hat entscheidende Paradigmenwechsel mit eingeleitet im Verständnis von therapeutischen Wirkfaktoren und Elementen in der Psychotherapie.

Entscheidende therapeutische Ideen, die einen lösungsorientierten Arbeitsansatz ausmachen sind:

Prinzip Selbstheilung

Das Wort Psychotherapie beruht in sich schon auf einem semantischen Irrtum. Niemand hat Zugang zu der Psyche eines anderen und kann diese direkt behandeln. Das was Psychotherapie leisten kann, ist das zur Verfügung stellen und Mitgestalten eines kommunikativen Raums. In der Hoffnung, das der kommunikativ -interaktive Prozess des Therapieraums, den Selbstheilungsprozess des Suchtkranken positiv beeinflusst.
Sinnvollerweise sollte man von einer Kommunikationstherapie sprechen. Suchttherapeuten sollten daher über gute und vielseitige kommunikative Fähigkeiten verfügen.

Prinzip Veränderung und Katalyse

Menschen sind von ihrer Natur her auf Veränderung und Evolution angelegt. Nichts in einem lebendigen System bleibt wie es ist. Für die Therapie gilt es diesem genuinen Entwicklungsbedürfnis wieder einen Raum zu geben. Der Therapeut verkörpert in seiner Wirkung eine Art Katalysator, der durch sein Verhalten die natürlichen Veränderungs- und Heilungsprozesse beeinflusst.
Inhaltlich wird diese Katalyse vom Suchtsystem eher als eine Verstörung erlebt, die alten Suchtstrukturen werden im optimalen Falle erstmal aufgeweicht und aufgelöst. Zugleich zeichnet einen wirkungsvollen Katalyseprozess aus, das Impulse und Anregungen angeboten werden, die eine nützlichere Strukturbildung und Neuorganisation des bisherigen Suchtsystems ermöglichen.

Prinzip Wirklichkeitskonstruktionen – Selbstdefinition

Das was Suchtkranke oft daran hindert, ihre Kompetenzen und Fähigkeiten zu nutzen, sind ihre eigenen negativen Selbstbeschreibungen. In ihrem Inneren erleben sich die meisten, als schlecht, wertlos, missraten, nicht liebenswert, minderwertig, unwürdig, schuldig, versagend etc..
Entsprechend dem Selbstglauben ist ihr Daseinsgrundgefühl eher negativ. Bei den meistens besteht zusätzlich die starke Tendenz dafür zu sorgen, daß die äußeren Lebensumstände den Selbstglauben bestätigt. Sie suchen die Bestätigung des negative Selbstbild im Fremdbild der anderen.
Unbewusst initiieren sie damit negative Etikettierungen und Reaktionen im sozialen System. Typisch dafür ist ihre Bereitschaft, die Rolle des schwarzen Schafs zu übernehmen.

Das Auflösen abwertender Selbstbeschreibungen und das Anregen der Bildung selbstwert schätzender Eigenbilder ist daher ein wesentlicher Aspekt der Therapie. Im Idealfall finden im Therapieraum einem positiveren Selbstbild entsprechende korrigierende Erfahrungen statt.

Prinzip Verhaltensflexibilität

In einem System verfügt immer das Element über die größte Kontrolle, das über die meisten Verhaltens- und Reaktionsmöglichkeiten verfügt. Bei den meisten Suchtklienten ist das aktive Verhaltensreportoir auf den Reflex Leben – Problem – Suchtmittel reduziert. Dem Suchtkranken sollte deshalb ermöglicht werden neue Verhaltensweisen auszuprobieren und zu trainieren, um die eigene Reaktionsflexibilität wieder zu erhöhen.

Das Primat, das Einsicht und Erkenntnis ermöglicht, ist  das Handeln: “Willst du erkennen, lerne zu handeln.” Erst die Erfahrung, ermöglicht es zu unterscheiden und damit eine gelingende Wirklichkeitsorientierung.

Prinzip Wahlmöglichkeiten und Verantwortung

Meistens erleben sich Suchtkranke als Opfer von äußeren Umständen und Einflüssen. Im therapeutischen Prozess geht es darum, die eigenen Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zu erkennen. Dadurch werden fremd delegierte Verantwortlichkeiten wieder vom Suchtkranken angeeignet. Wodurch er sich von der eigenen Ohnmacht befreit und sein Einfluss- und Machtpotential wieder erkennt und nutzen lernt.

Prinzip Modell

Ein wesentliches Element jeder Therapie ist die Person des Therapeuten selbst. Über das Lernen an ihm als Modell und der dazu gehörend Identifikation mit ihm, eignet sich der Suchtkranke viele von dessen Qualitäten an. Persönliche Qualitäten, wie Offenheit, Konsequenz, Achtung, Liebesfähigkeit, Abgrenzungsfähigkeiten, Kreativität, Gelassenheit, Humor etc. kann sich der Suchtkranke von diesem “abschauen” und so verinnerlichen.
Die persönliche Integrität und Reife des Therapeuten hat daher eine hohe Bedeutung für die Therapie.

Prinzip Lebenssinn

“Wer ein wozu weiß, der erträgt fast jedes wie.”
Lebensziele und Träume sind ein entscheidendes Kraftresvoir. Sie geben uns Sinn und damit Halt, Struktur und Perspektive. Bewusste Lebensplanung ist für viele Suchtkranke ein zentraler Therapiekomplex. Also, ein Herauskommen aus der “Jetzt-Orientierung” von “Morgen mache ich alles anders und höre auf zu Trinken”.

Die Entwicklung von sinnstiftenden Plänen und Zielen, die auch über die eigene Person hinausreichen, wie ein guter Ehemann zu sein, kommen dem essentiellen Bedürfnis von Suchtkranken positiv entgegen sich zu entgrenzen.
Vielleicht ist das starke Bedürfnis nach Selbstaufgabe bei Suchtkranken ein Grund dafür, dass sie die größte und am meisten verbreitetste Selbsthilfeorganisation erschaffen haben.

Prinzip Notfallregulativ

Der Umgang mit Krisen stellt für den Suchtkranken oft eine besonders starke Herausforderung da. Zukünftige Entwicklungskrisen und Lebenskrisen in Form von Probehandeln vorweg zu nehmen, ist ein wesentlicher Aspekt der Therapie, um Rückfallprophylaxe zu betreiben. Hierbei werden sozusagen die “Schlimmsten – Fall – Szenarien” durchgespielt, um in fiktiven “Härtesituationen” die neu entwickelten Verhaltenskompetenzen zu testen und angemessen korrigieren zu können.

Zentrale therapeutische Instrumente

Die wesentlichen “therapeutischen Instrumente” der Suchttherapie sind:

Das Beziehungsangebot

Das wesentlichste therapeutische Instrument ist das aktive Beziehungsangebot, das man Klienten macht. In einem festgelegten zeitlichen Rahmen stellt man sich, als ganze Person dem Klienten als ein Gegenüber zur Verfügung.
Die spezifische Art und Weise, wie der Klient die Beziehung und Kommunikation gestaltet und die Reaktionen die er dabei auslöst sind das wesentliche diagnostische und therapeutische Instrument, um mit ihm Problemkomplexe zu erkennen und Interventionsbedarf und Möglichkeiten festzustellen.

Die Kontraktbildung und Behandlungsplanung

Das Vereinbaren von Beratungs- und Behandlungszielen ist ein wesentlichen Steuerungsinstrument des Behandlungs- und Beratungsprozesses. Zugleich macht eine Zielevereinbarung erst die Bildung von Qualitätsmerkmalen zur Überprüfung des Behandlungsergebnis möglich.
Dabei sehe ich den Suchtkranken als einen selbstverantwortlichen Auftraggeber für eine Behandlungs- oder Beratungsdienstleistung.
Die Entscheidung über die Inhalte der Zielvereinbarung, also die eigenen Veränderungsziele und Wünsche bezüglich der Beratung und Behandlung überlassen ich dem Suchtkranken selbst. Die Zielklärung und das Überprüfen von Veränderungswünschen verstehen ich als einen ständigen Prozess über die Dauer der ganzen Behandlung.
Zugleich stelle ich dem Suchtkranken meine Situationseinschätzung des Suchtkrankensystems als ein externes Feedbacksystem zur Verfügung.
Die Reflektion der eigenen Reaktionen sowie der Problemeinschätzungen des Klienten in einem therapeutischen Team spielt eine wesentliche Rolle, um die fachliche Professionalität sicherzustellen, die ein optimales Feedback für den Suchtkranken gewährleistet.

Anamnese – Die Mustererkennung und Neubildung

Ein Eckpfeiler des Beratungsprozesses besteht darin dem Klienten dabei zu helfen, suchtstabilisierende Muster in seinem Leben zu finden, die den Suchtmittelkonsums aufrechterhalten. Diese Muster sind in der Regel biographisch gewachsen. Manche der Muster haben ihren Ursprung in signifikanten Beziehungen und Ereignissen. Hierbei hilft die Anamneseerhebung, um Informationen zu sammeln über prägende Soziale Systeme, wie die Herkunftsfamilie sowie prägende Ereignisse in anderen Kontexten.
Zugleich erscheint es sinnvoll, im Sinne von DeShazer nach den Ausnahmen des Muster zu suchen. Also, nach Zeiten wo nichtsuchtstabilisierende Muster dominierten. Den Zeiten, wo die Fähigkeit zur Abstinenz und Selbstkontrolle über das Suchtmittel gegeben sind.
Das Ziel dabei ist es, mit dem Suchtkranken nach Wegen zu suchen, nicht süchtige Verhaltensweisen und Kompetenzen in bisherige Suchtkontexte zu transferieren.
Die Frage des Lösungstransfers von Suchtmittelfreiheit hat in der Therapie Vorrang.

Die Frage, das Abstinenz möglich ist, ist damit entschieden: Es geht in der Therapie darum herauszufinden, wie dies im Einzelfall machbar ist.

Ziele der Suchttherapie

1. Abstinenz

Therapiebedingung ist die aktuelle Abstinenz sowie die Abstinenzmotivation des Suchtkranken.
Das Ziel in meinem Therapieverständnis der Sucht ist die dauerhafte Abstinenz.
Die Suchtmittelabstinenz erscheint nicht aus wissenschaftlicher oder empirischer, sondern aus pragmatischer Sicht die sinnvollste Verhaltensweise bei einer Suchtmittelabhängigkeit. Versuche mit dem “Kontrollierten Suchtmittelkonsum” sprengen zumindest ambulante gruppentherapeutische Settings, da sie die Abstinenzmotivation anderer Teilnehmer “unterminieren”.  Insofern ist die Abstinenz auch erstmal ein Therapeutenschutz.
Die therapeutische Gefahr, die dabei entsteht ist, dass die Abstinenz als ein Beziehungsregulativ vom Therapeuten missbraucht wird.

Dieses Therapieangebot kann nur von einer relativ kleinen Gruppe von Suchtkranken angenommen werden. Es sollten auch therapeutische Konzepte für nicht abstinente Suchtkranke entwickelt werden, um diesen ein adäquates Entwicklungs- und Lernfeld zur Verfügung zu stellen.

1.1. Der Rückfall

Die Entdramatisierung des Rückfalls erscheint die einzige sinnvolle Reaktion auf einen Rückfall, um ihn in der Behandlung des Suchtkranken therapeutisch nutzen zu können und die Behandlungsmöglichkeit damit fortsetzen zu können.
In diesem Sinne kann der Rückfall behandlungstechnisch als ein Vorfall verstanden werden. Als Metabotschaft bezogen auf den Behandlungsprozess, stellt der Rückfall ein Behandlungskorrektiv da, womit bisherige Behandlungsdefizite anmeldet werden. Günstig an dem Rückfall ist, wenn er noch während einer Behandlung stattfindet, so das noch fehlende Entwicklungsschritte in der Therapie signalisiert werden.
Das Bearbeiten eines Rückfalls eröffnet und ermöglicht oft erst entscheidende Lernschritte in der Persönlichkeitsentwicklung und Heilung des Suchtkranken.

2. Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, berufliche In- und Reintegration

Der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und oder ihre Zurückgewinnung ist für  ein elementares Ziel der Behandlung. Dazu gehört auch die Verbesserung der beruflichen Arbeitssituation des Suchtkranken oder seine Reintegration in die Arbeitswelt.
Der wesentlichste Langzeitfaktor für das Gelingen von Suchttherapien ist eine berufliche Integration. Kein anderer Faktor ist so stark selbstwertstabilisierend und identitätsbildend, wie ein vorhandener Arbeitsplatz. Versuche des Klienten in diesem Bereich etwas zu seinen Gunsten zu verändern sollten stark angeregt, gefördert und unterstützt werden. Dabei macht es Sinn das Motto zu beherzigen: Besser eine, als keine Arbeit.
Das Einbinden von Arbeitgebern in die Therapie, so früh wie dies möglich ist, sollte aktiv gesucht werden.

3. Soziale Integration

Der Erhalt, Aufbau und Verbesserung der sozialen Beziehungen und die Einbindung des sozialen Feldes und Netzes in die Behandlung ist ein weiterer entscheidender Faktor für das Gelingen von Suchttherapien und damit ein zentrales Ziel jeder Therapie.
Zufriedenstellende Partnerschaft und das Vorhandensein von Freunden sind langfristig ein wesentliches Kriterium für die Aufrechterhaltung der Abstinenz.

Therapeutische Sub- und Unterziele

Aufgrund der charakteristischen Merkmale von Suchtkranken in ihrem Suchtsystem ergeben sich folgende typischen therapeutischen Unterziele, die bei jedem unterschiedlich gewichtet, in der Behandlung grundsätzlich eine Rolle spielen:

  • Auflösen von negativen Selbstbildern und eigenen Krankheitskonzepten. Beispielsweise: “Die Sucht ist ein Makel” oder “Ich bin wertlos”

  • Wiederaneignung von Selbstverantwortung für die Beziehungsgestaltung und Bedürfnisbefriedigung

  • Konstruktiver Umgang mit Konflikt- und Enttäuschungssituationen

  • Entwicklung von Affekttoleranz, Introspektion und Affektausdruck

  • Entwicklung von realistischen Lebenszielen und Lebensplanung

  • Zurückgewinnung von Selbst- und Lebenskontrolle

  • Aufbau von Körperbewusstheit und sinnlicher Genussfähigkeit

Ambulante Settings und Indikationskriterien

Grundsätzlich scheint die gruppentherapeutische Behandlung von Suchtmittelabhängigen, die Behandlung der Wahl zu sein. Die Gruppe bietet wesentlich mehr Möglichkeiten und Ressourcen, um dem Suchtkranken angemessen zu helfen.
Die Erfolge der Anonymen Alkoholiker und später Synanon als Selbsthilfegruppen haben die Bedeutung der Gruppe für die erfolgreiche Behandlung unterschiedlicher Suchtmittelabhängigkeiten deutlich gemacht. Entscheidende Faktoren dafür sind:

  • Die Gruppe bietet mehr Schutz und Hilfe, besonders bei der Regulation von Nähe und Distanz

  • Die Gruppe ist ein äußerst hilfreiches Feedbacksystem für den Therapeuten

  • Die Gruppe dient als zusätzliche Ressourcenquelle für Klient und Therapeuten

Damit eine Gruppenbehandlung beginnen kann sollten folgende Indikationskriterien erfüllt sein:

  1. Abgeschlossene Kontraktbildung / Arbeitsauftrag
    Minimal sollten fünf Einzelsitzung über zwei Monate Zeit stattfinden in den ein Arbeitsauftrag erarbeitet wird.
     

  2. Abstinenzmotivation und aktuelle Abstinenz
    Aktuelle Abstinenz -minimal 6 Wochen- sollte vorliegen sowie eine klar Abstinenzabsicht.
     

  3. Klare Veränderungswünsche und Ziele
    Der Klient sollte in der Lage sein, über die Abstinenz hinausgehende Veränderungsziele benennen zu können.
     

  4. Einbindung in positive soziale Bezüge
    Es sollte ein soziales Kontakt- und Beziehungsfeld bestehen, dem der Suchtkranke positive Seiten abgewinnen kann.


Indikationskriterien für begleitende einzeltherapeutische Maßnahmen

In Einzelfällen ist es sinnvoll neben der Gruppentherapie eine flankierende einzeltherapeutische Behandlung angezeigt.

  1. Akuten Krisen, wie schwere Depression bei Trennungen

  2. Hochtabuisierten Themenkomplexen, wie Homosexualität

  3. Schweren Traumen, wie sexueller Missbrauch

Indikationskriterien für Einzeltherapie

In bestimmten Fällen ist meines Erachtens eine Gruppentherapie kontraindiziert und eine Einzeltherapie angemessner.

  • Bei beruflicher Selbstschädigung
    Z.B. bei Richtern, Politiker und Ärzten, deren öffentliches Ansehen gefährdet werden könnte. Oder wenn der Arbeitgeber die Maßnahme ablehnt oder den Suchtkranken berufliche stark benachteiligen würde.

  • Bei extremen Ängsten

  • Bei starken suizidalen Tendenzen

  • Bei massiven Traumen, wie sexueller Missbrauch

  • Bei begleitenden dissozialen Verhalten, Gewaltübergriffen, wie offnen Aggressionen sowie sexuellen Perversionen

Ziel der Einzeltherapie sollte auch die Gruppenfähigkeit sein.

Ambulante Therapie ausschließende Kriterien
– Stationäre Maßnahmen –

In erheblich vielen Fällen ist eine ambulante Behandlung des Suchtkranken erstmal nicht angezeigt und machbar, sondern eine stationäre Maßnahme vorzuschalten. Entscheidende Kriterien dafür sind:

  1. Physische Gewalt

  2. Medikamentöse Behandlung mit bewusstseinsverändernden Medikamenten

  3. Manifeste Suiziddrohungen

  4. Verheimlichter Rückfall & Wiederholter Rückfall

  5. Fehlende Kontinuität

  6. Dekompensierende Wirkung von therapeutischen Angeboten, also beispielsweise psychotische Eskalationen und unauflösbarer Negativübertragung

Therapeutische Maßnahme – Das Team –

Aufgrund der hohen Komplexität und Vielschichtigkeit des Problemfeldes Sucht erscheint es mir für eine effektive Therapie von zentraler Bedeutung, dass ein differenziertes Angebot von Interventionsmöglichkeiten besteht.
Hierzu gehört im verstärkten Maße die enge Vernetzung von ambulanten und stationären Maßnahme und deren Träger sowie deren Gleichgewichtung in der Behandlungskette.
Wenn man die Suchterkrankung metaphorisch mit einer körperlichen Krankheit vergleicht könnte man sie als eine Herzerkrankung bezeichnen im Vergleich zu einer Mandelentzündung, was dann einer Phobie gleichkäme.
Für Herzoperationen sollte ein kompetentes Team zur Verfügung stehen!

Differenzierung stationärer Angebote

Die Ausdifferenzierung stationärer Angebote unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallflexibilität bezüglich Behandlunssettings und Dauer hat  auch zu einer qualitativen Verbesserung der Angebote geführt. Zugleich hat sie die Bedeutung der guten Kooperationen und Koordination zwischen ambulanten und stationären Trägern wesentlich erhöht.

Differenzierung ambulanter Angebote

Um das weite Spektrum des Erscheinungsbild des Suchtleidens abzudecken wurden differenzierte Einzel-, Partner-, Angehörigen- und Gruppenangebote entwickelt. Jedes dieser Angebote deckt einen spezifischen Themenkomplex des Problemfelds Sucht ab. Die Differenzierung sowie die interne Vernetzung dieser Angebote in einer Suchtambulanz untereinander zeichnet eine optimal ambulante Behandlungsstelle aus.
Klienten müssen nicht auf ein Angebot zugeschnitten werden, sondern bekommen speziell auf ihre Problem- und Fragekomplexe zugeschnittene Angebote, wie Führerscheinkurse, Straffälligen- oder Angehörigengruppe.